7 Projekte, die es in sich haben

[Translate to German:] Team of scientists in the Angela Ruban Lab of Tel Aviv University

Weltweit arbeiten Wissenschaftler mit Hochdruck an einer Heilung von Querschnittslähmung.
Wir stellen sieben Projekte vor, die hauptsächlich aus Einnahmen des jährlichen Wings for Life World Run finanziert werden. Denn von dort fließt jeder Cent zu 100 Prozent in die Rückenmarksforschung. Und all diese Projekte spenden Hoffnung.


Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist die Forschung am zentralen Nervensystem ganz besonders spannend. "Weil es so komplex ist", sagt Dr. Verena May. Die wissenschaftliche Leiterin der Wings for Life-Stiftung betont zudem: "Bei der Forschung am Querschnitt kommt hinzu, dass alle möglichen anderen Aspekte und Körperfunktionen hineinspielen." Das Immunsystem funktioniert etwa meist nicht so, wie es sollte, die Blasen-Darmfunktion und der Kreislauf machen ebenso oft Probleme. Doch so schwierig das für Betroffene ist, so spannend ist die Sache für die Forschung. Weil es so viele unterschiedliche Ansätze und Gebiete gibt, die es zu verfolgen gilt. "Das ist aus der wissenschaftlichen Perspektive besonders faszinierend", sagt May.

Gleichzeitig führt das aber auch dazu, dass es auf vielen unterschiedlichen Terrains Erfolgsmeldungen und Entwicklungen geben kann. Derzeit stehen bei der Wings for Life Stiftung diese sieben Projekte besonders im Fokus.

1. Giftiges Glutamat

Sagol School of Neuroscience, Tel Aviv University, Israel

Das Wissenschaftler-Team an der Sagol School of Neuroscience, Tel Aviv University, Israel

Glutamat ist der verbreitetste Botenstoff im zentralen Nervensystem. Es ist ein entscheidender Faktor der Nervenerregung – eine hohe Konzentration davon kann Nervenzellen aber auch absterben lassen. Die Idee von Angela Rubans: Die Konzentration von Glutamat nach einer Nervenverletzung senken und so die giftige Wirkung und den daraus folgenden Schaden reduzieren. Weniger Glutamat könnte sogar zu einer verbesserten Erholung und Regeneration führen. Diese Methode hat bereits im Experiment nach einem Schlaganfall oder nach einer traumatischen Hirnverletzung funktioniert. Die Gabe von bestimmten Enzymen, die Glutamat abbauen, führte dort zu einer verbesserten Motorfunktion. Diese Therapie könnte auch bald klinisch getestet werden.

2. Haut unter Strom

Elektrical & Computer Engineering, University of Washington, Seattle, USA

Wissenschaftler Chet Moritz Porträt

Das Team von Wissenschaftler Chet Moritz hat herausgefunden, dass eine elektrische Stimulation des Rückenmarks auf Höhe des Halses zu wichtigen und langanhaltenden Verbesserungen der Handfunktion führt. Und zwar bei chronischer, hoher Querschnittslähmung. Die Stimulation erfolgt oberflächlich an der Haut im Nacken – über Klebe-Elektroden und damit ohne operativen Eingriff. Überraschenderweise wurde dabei sogar eine Verbesserung von Muskelkraft und Gefühlswahrnehmung an den Beinen festgestellt. Selbst die Blasen- und Darmfunktion wurden positiv beeinflusst.

Die Forscher wollen jetzt gezielt untersuchen, ob eine kombinierte Stimulation über die Haut im Nacken und gleichzeitig über der Lendenwirbelsäule, gepaart mit intensivem Rehatraining, die Wirkung noch verstärkt. Bei einer hohen Querschnittslähmung soll das Gehen und die autonomen Funktionen positiv beeinflusst werden.

3. Nervenfasern magnetisch in die Länge ziehen

Università Di Pisa & National Research Council, Pisa, Italien

Wissenschaftliches Team, geleitet von Vittoria Raffa und Marco Mainardi

Wie kann man Nervenfasern nach einer Querschnittslähmung zum Wiederauswachsen bringen? Damit beschäftigen sich Wissenschaftler unter der Leitung von Vittoria Raffa und Marco Mainardi – und beschreiten einen neuen Weg: Die Forschergruppe zeigte, dass bereits geringe Zugkräfte das Längenwachstum von Nervenzellen anregen. Diese mechanischen Kräfte entstehen durch die Verwendung magnetischer Felder. Die hierfür notwendige Nanotechnologie ist hochkompliziert und wurde eigens von der Forschergruppe entwickelt. Denkbar wäre, dieses Konzept mit weiteren Verfahren zu kombinieren und es auch auf die Stammzelltherapie oder den Ausbau von Nervennetzwerken auszudehnen – für eine Heilung des verletzten Rückenmarks.

4. Nervennetzwerke spinnen und stärken

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck & Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, Österreich

Wissenschaftler Sebastien Couillard-Despre Portrait

Die Neurowissenschaftler Frank Edenhofer und Sébastien Couillard-Després entwerfen gerade eine neuartige Kombinationstherapie. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung von Nervenverbindungen durch sogenannte induzierte neurale Stammzellen. Zusätzlich wollen sie der Narbenbildung entgegenwirken, da eine Narbe die Regeneration erschwert. Dazu nutzen sie spezielle Bläschen, sogenannte extrazelluläre Vesikel, die normalerweise zur Kommunikation zwischen den Zellen dienen. Diese sollen ihre Wirkung an der Verletzungsstelle und der Blutbahn entfalten. So sollen Nervenverbindungen regeneriert und der Grundstein für eine Therapie für chronisch Querschnittsgelähmte gelegt werden.

5. Den genetischen Codes auf der Spur

Neuroscience, University of California, San Diego, USA

Neurowissenschaftlerin Camila Marques de Freria Porträt

Die wichtigste motorische Nervenbahn beim Menschen ist das sogenannte kortikospinale System, eine Verbindung von der Hirnrinde zum Rückenmark. Diese leitet Befehlssignale vom Gehirn zum Rückenmark, was zur Ansteuerung von Muskeln und somit zu Bewegung führt. Sie ist aber auch jene Bahn, die am geringsten zur Erholung fähig ist. Es benötigt also einen Reiz von außen.

Eine Gruppe Neurowissenschaftler unter der Leitung von Camila Marques de Freria entwickeln dafür eine Kombinationstherapie: eine Stammzelltransplantation an der Verletzungsstelle plus intensivem Reha-Training. Im ersten Schritt wollen sie herausfinden, welche Gene während dieser Therapie im menschlichen Körper aktiv sind. Nachdem der genetische Code entschlüsselt wurde, soll er mit pharmakologischen Wirkstoffen verglichen werden, die ein ähnliches genetisches Profil aufweisen. Die besten Wirkstoffe sollen dann für eine neue Medikamententherapie für Querschnittsgelähmte zum Einsatz kommen.

6. Ausgefuchste Transplantation

Shirley Ryan AbilityLab, Chicago, USA

Martin Oudega Porträt

Martin Oudega und seine Arbeitsgruppe haben sich auf sogenannte Schwann-Zellen und deren Transplantation in geschädigtes Rückenmark spezialisiert. Ziel ist es, Nervengewebe wiederherzustellen. Ein Problem bei der Zelltransplantation ist, dass die neuen Zellen an der Verletzungsstelle rasch absterben. Den Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, ein spezielles Biomaterial einzubringen. Dieses soll dabei helfen, die feindlichen Bedingungen in der Wunde zu verringern. Auf diese Weise soll die Überlebensfähigkeit der neu eingebrachten Schwann-Zellen gesteigert werden. Diese neuartige, zweistufige Strategie könnte die Zelltransplantation grundlegend verändern, um eine Querschnittsverletzung zu heilen.

7. Wozu frühes und intensives Bewegungstraining?

Faculty of Medicine and Health, University of Sydney, Australien

Neurowissenschaftlerin Lisa Harvey mit einem Patienten

Frühzeitiges und intensives Bewegungstraining ist die derzeit vielversprechendste Therapie bei Querschnittslähmung. Vor allem weil das Training die Plastizität des Rückenmarks, also die Fähigkeit, neue Verbindungen zu bilden, anregt. Eine Studie australischer Neurowissenschaftler unter der Leitung von Lisa Harvey untersucht die Wirksamkeit eines frühen und intensivierten, motorischen Trainings auf die Erholung und die einzelnen Körperfunktionen. Frisch verletzte Betroffene werden dazu an mehreren Zentren weltweit untersucht, um die gewonnenen Erkenntnisse schnell in die Praxis umzusetzen. Diese Studie hat das Potential, die Rehabilitation von Querschnittspatienten weltweit zu verändern.

Der Wings for Life World Run.

Einmal jährlich findet weltweit der Wings for Life World Run statt, heuer am 7. Mai. Alle Teilnehmer starten dabei weltweit zur selben Zeit – entweder individuell mit der Wings for Life World Run App oder gemeinsam bei diversen Flagship Runs. Egal, wofür du dich entscheidest: Hauptsache, du bist dabei. Es kommt nicht darauf an, wie gut, schnell oder weit du laufst, ob du Spitzensportler, Hobbyläufer oder blutiger Anfänger bist. Es geht einzig und allein um den Spaß am Laufen. Daher gibt es auch keine klassische Ziellinie. Stattdessen setzt sich 30 Minuten nach dem Start entweder das virtuelle oder – bei den Flagship Runs – das echte Catcher Car in Bewegung und überholt die Läufer nach und nach. Das Ergebnis wird also nicht über die Zeit, sondern die gelaufene Distanz ermittelt. Und das Beste: Alle Startgelder und Spenden fließen zu 100% in die Rückenmarksforschung und helfen dabei, Querschnittslähmung zu heilen. In den vergangenen Jahren sind beim Wings for Life World Run insgesamt 1.086.988 Menschen aus 195 Nationen auf allen sieben Kontinenten gelaufen, gegangen oder gerollt. Sie haben gemeinsam eine Gesamtsumme von €38 Millionen gesammelt, um Querschnittslähmung heilbar zu machen.